Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung
Kinder und Jugendliche mit Auffälligkeiten in der emotionalen und sozialen Entwicklung lassen sich in allen Schularten und Altersstufen finden. Auffällig sind dabei zuvorderst Kinder und Jugendliche mit psychischen Störungen. Einerseits zählen darunter Kinder und Jugendliche mit externalisierenden Auffälligkeiten, wie aggressives oder oppositionelles Verhalten. Solche Auffälligkeiten stehen meist deshalb im Vordergrund, da sie oft unmittelbare Reaktionen durch Lehrkräfte hervorrufen. Andererseits bedürfen Kinder und Jugendliche mit internalisierenden Auffälligkeiten, wie beispielsweise Angst oder Depression, gleichermaßen vielfältiger Unterstützung. Zudem existieren auch Überschneidungsformen, was eine klare Trennung der einzelnen Erscheinungsformen erschwert.
Unabhängig oder in Verbindung mit psychischen Störungen existieren zahlreiche Erziehungsschwierigkeiten, die sich in der Schule manifestieren sowie Unterrichtsstörungen hervorrufen können. Zudem können Erfahrungen aus anderen Gesellschafts- und Schulkulturen auch zu Adaptionsproblemen mit der hiesigen Schulkultur führen, die mitunter als Verhaltensprobleme beschrieben werden, aber ursächlich in einem kulturellen Passungsproblem und nicht in einem Persönlichkeitsproblem liegen.
Myschker & Stein (2018) beschreiben verschiedene Faktoren, welche die Entstehung und Aufrechterhaltung von Verhaltensstörungen beeinflussen können, und halten fest:
„[...] Verhaltensstörung ist ein von den zeit- und kulturspezifischen Erwartungsnormen abweichendes maladaptives Verhalten, das organogen und/oder milieureaktiv bedingt ist, wegen der Mehrdimensionalität, der Häufigkeit und des Schweregrades die Entwicklungs-, Lern- und Arbeitsfähigkeit sowie das Interaktionsgeschehen in der Umwelt beeinträchtigt und ohne besondere pädagogisch-therapeutische Hilfe nicht oder nur unzureichend überwunden werden kann.“ (Myschker & Stein 2018, S. 56)
Damit wird zum einen auf die Bedeutung der zugrundliegenden Normen hingewiesen, von welchen Verhalten abweicht und deshalb als auffällig wahrgenommen wird bzw. wahrgenommen werden kann. Zum anderen wird die Ursache mit in den Blick genommen, welche sowohl organogen bedingt sein, aber auch durch das Aufwachsen in einem belastenden Lebensumfeld ausgelöst sein kann. Diese Aspekte können insbesondere in ihrer Kumulation Entwicklungsrisiken darstellen. Ausgehend von einem wechselseitigen Entwicklungsverständnis können folgende zentralen Faktoren genannt werden (vgl. Blumenthal et al. 2020, S. 30ff.):
- Geschlecht
- pränatale Risiken
- genetische Ausstattung/hormonelle Besonderheiten
- strukturelle Besonderheiten des zentralen Nervensystems
- Besonderheiten in den autonomen Funktionen
- Aufmerksamkeits-, Hyperaktivitäts- und Impulsivitätsprobleme
- unzureichende Impulskontrolle und Emotionsregulierung
- verzerrte sozial-kognitive Informationsverarbeitung
- überzogene Selbsteinschätzung
- unzureichendes Einfühlungsvermögen
- unsichere Bindung an die Eltern im Kleinkindalter
- restriktive, inkonsistente Erziehung
- Mangel an emotionaler Wärme und Unterstützung für das Kind oder den Jugendlichen
- soziale Ablehnung durch Gleichaltrige
Verhaltensstörungen treten in sozialen Systemen auf und sind Störungen im Person-Umwelt-Bezug (vgl. Stein 2019, S. 12). Somit kann das Verhalten von Personen im sozialen Umfeld (und damit auch das von Lehrkräften) zur Entstehung von Störungen und Auffälligkeiten führen bzw. zu deren Manifestation durch eigene Norm- und Moralvorstellungen beitragen.
Zentrale Aufgabe im Zusammenhang mit Verhaltensstörungen ist es daher zu analysieren und zu verstehen, wie es zu Verhaltensstörungen kommt und weshalb Kinder und Jugendliche Auffälligkeiten in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung zeigen. Die Auffälligkeiten selbst stellen Symptome dar, die einer inneren Sinnhaftigkeit folgen und Ausdruck des Erlebens der betroffenen Kinder und Jugendlichen in ihrem Ringen um Lösungs- und Anpassungsversuche an subjektiv schwierig empfundene Situationen sind. Deshalb ist es eine zentrale Aufgabe von Lehrkräften, nicht nur auf beobachtbares Verhalten zu reagieren, sondern sich zu bemühen, das subjektiv Erlebte zu verstehen, um sinnvolle Unterstützungsangebote unterbreiten zu können. Gleichzeitig verdeutlicht dies, dass es individueller Maßnahmen bedarf, da die Ursachen des gezeigten Verhaltens immer im Kontext der jeweiligen Lebensumstände und des Individuums selbst in ihrer multikausalen Wechselwirkung zu betrachten sind.
Die besonderen Bedürfnisse in der Interaktion von Kindern und Jugendlichen mit Besonderheiten in der emotionalen und sozialen Entwicklung können daher unter zusätzlicher Berücksichtigung ihres individuellen Erlebens wie folgt zusammengefasst werden:
„[...] Schüler mit Entwicklungsbesonderheiten in der emotionalen und sozialen Entwicklung benötigen die besondere Aufmerksamkeit der Lehrkräfte, um ihre Bedürfnisse achtsam wahrzunehmen und sensibel mit schwierigen Situationen umzugehen. Die Verhaltensbesonderheit der Schüler kann durch gezieltes pädagogisches Einwirken in Dauer und Ausprägung positiv beeinflusst werden. Andererseits trägt ein ungeschicktes, stigmatisierendes pädagogisches Verständnis oder langfristiges Ignorieren der Schülersituation möglicherweise zur Verschlimmerung bzw. Eskalation bei“ (Landesamt für Schule und Bildung 2018, S. 13).
Nachfolgend werden die Besonderheiten der sonderpädagogischen Beratung, Diagnostik und Förderung im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung dargestellt.