Hauptinhalt

Bereich Autismus

Bei Schülerinnen und Schülern im Bereich Autismus wurde eine klinische Diagnose aus dem Autismus-Spektrum gestellt. Diagnosen aus dem Autismus-Spektrum sind gekennzeichnet durch 

  • „anhaltende Defizite in der Fähigkeit, wechselseitige soziale Interaktionen und soziale Kommunikation zu initiieren und aufrechtzuerhalten sowie 
  • eine Reihe von eingeschränkten, sich wiederholenden und unflexiblen Verhaltensmustern, Interessen oder Aktivitäten, die für das Alter und den soziokulturellen Kontext der Person eindeutig untypisch oder exzessiv sind. (...) 

Personen, die dem Spektrum angehören, weisen ein breites Spektrum an intellektuellen Funktionen und Sprachfähigkeiten auf“ (BfArM 2022).
 
Autismus-Spektrum-Störungen werden in der seit 2022 gültigen Fassung der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der ICD 11, als Neuronale Entwicklungsstörungen begriffen. Hiermit werden die Kategorien der ICD 10 (mit einer Übergangfrist von fünf Jahren, gültig bis mind. 2027) und auch die Diagnosen „Frühkindlicher Autismus“, „Atypischer Autismus“ und „Asperger-Syndrom“ (vgl. Freitag 2020) abgelöst.

In der ICD 10 werden Autismus-Spektrum-Störungen als tiefgreifende Entwicklungsstörung mit dem Schlüssel F84 im Kapitel V (Psychische und Verhaltensstörungen) (F00-F99) unter den Entwicklungsstörungen (F80-F89) angegeben. 
Die Gruppe der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen (F84) ist gekennzeichnet durch qualitative Abweichungen in den wechselseitigen sozialen Interaktionen und Kommunikationsmustern und durch ein eingeschränktes, stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und Aktivitäten. Die genannten qualitativen Auffälligkeiten sind dabei in allen Situationen ein grundlegendes Funktionsmerkmal des betroffenen Kindes bzw. Jugendlichen. 
Dabei werden gemäß ICD 10 folgende Diagnosen beschrieben (vgl. Dilling, Mombour & Schmidt 2008):

ICD 10: F84: Tiefgreifende Entwicklungsstörungen
(Diagnoseschlüssel; vgl. Bölte 2009; Dilling, Mombour & Schmidt 2008)
Autismus-Spektrum-Störungen
  • Frühkindlicher Autismus (F84.0) 
  • Asperger-Syndrom (F84.5) 
  • Atypischer Autismus (F84.1) 
  • nicht näher bezeichnete tiefgreifende Entwicklungsstörung (F84.9) 
  • sonstige tiefgreifende Entwicklungsstörung (F84.8)
andere tiefgreifende Entwicklungsstörungen
  • Rett-Syndrom (F84.2) 
  • andere desintegrative Störung des Kindesalters (F84.3)
  • Überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien (F84.4) 

Diagnosen aus dem Autismus-Spektrum werden voraussichtlich ab 2027 in der ICD 11 kodiert und enthalten dann sieben Unterformen, die hier tabellarisch dargestellt werden:

Autismus-Spektrum-Störung
(6A02)
mit leichtgradiger oder keiner Beeinträchtigung der funktionellen Sprache mit Beeinträchtigung der funktionellen Sprache Fehlen der funktionellen Sprache
ohne Störung der Intelligenzentwicklung 6A02.0 6A02.2 ----
mit Störung der Intelligenzentwicklung 6A02.1 6A02.3 6A02.5
Sonstige näher bezeichnete Autismus-Spektrum-Störung 
(6A02.Y; kann verwendet werden, wenn die oben genannten Parameter nicht zutreffen)
Autismus-Spektrum-Störung, nicht näher bezeichnet 
(6A02.Z; kann verwendet werden, wenn die oben genannten Parameter unbekannt sind)

(WHO 2024; Entwurfsfassung) 

Schülerinnen und Schüler im Bereich Autismus zeigen spezifische Verhaltensprofile, die den Kriterien des Autismus-Spektrums nach ICD 10 oder ICD 11 entsprechen und die sich in den Bereichen soziale Kommunikation und Interaktionen sowie im Bereich sich wiederholender und unflexibler Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten finden. 
So bestehen zum einen anhaltende Auffälligkeiten bei der Initiierung und Aufrechterhaltung sozialer Kommunikation und wechselseitiger sozialer Interaktionen. Dies kann sich ausdrücken in (vgl. WHO 2024)

  • geringem Verständnis für die verbale oder nonverbale soziale Kommunikation mit anderen sowie unangemessenen Reaktionen in Kommunikationssituationen, 
  • einer geringen Integration der gesprochenen Sprache mit nonverbalen Hinweisen wie Augenkontakt, Gestik, Mimik und Körpersprache sowie generell gering ausgeprägter körpersprachlicher Kommunikation,   
  • eingeschränktem Verstehen und Gebrauch von Sprache in sozialen Kontexten sowie der Fähigkeit, soziale Gespräche zu initiieren und aufrechtzuerhalten, 
  • geringem sozialen Bewusstsein, was zu einem Verhalten führt, das im jeweiligen sozialen Kontext oft nicht angemessen ist, 
  • einer eingeschränkten Fähigkeit, sich die Gefühle, emotionalen Zustände und Einstellungen anderer vorzustellen und darauf zu reagieren, 
  • weniger gegenseitigem Teilen von Interessen und
  • einer eingeschränkten Fähigkeit, typische Peer-Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. 

Zum anderen treten anhaltende, sich wiederholende und unflexible Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten auf, die für das Alter und den Kontext der Kinder und Jugendlichen unpassend sind. Dazu können gehören 

  • wiederholte und stereotype motorische Bewegungen wie Ganzkörperbewegungen, ungewöhnliche Hand- oder Fingerbewegungen und Haltungen, 
  • mangelnde Anpassungsfähigkeit an neue Erfahrungen und Umstände, 
  • unflexibles Festhalten an bestimmten Routinen, 
  • übermäßige Einhaltung von Regeln (bspw. beim Spielen), 
  • exzessive und hartnäckige ritualisierte Verhaltensmuster, 
  • anhaltende Beschäftigung mit einem oder mehreren besonderen Interessen, Teilen von Objekten oder bestimmten Arten von Reizen oder eine ungewöhnlich starke Bindung an bestimmte Objekte und Themenkomplexe und
  • übermäßige und anhaltende Überempfindlichkeit oder Unterempfindlichkeit gegenüber Sinnesreizen oder ungewöhnliches Interesse an Sinnesreizen. 

Kinder und Jugendliche im Bereich Autismus können auf allen Stufen intellektueller Leistungsfähigkeit stehen und werden in allen Schularten beschult (KMK 2000; Trost 2012). 

Die gesicherte Diagnose aus dem Autismus-Spektrum ist verbindliche Voraussetzung für die entsprechende sonderpädagogische Diagnostik im Bereich Autismus. Die Ermittlung des sonderpädagogischen Förderbedarfs im Bereich Autismus erfolgt deshalb erst nach fachärztlicher Expertise.
Die klinische Diagnostik erfolgt auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung.
Die fachärztliche Diagnostik muss sich an den aktuellen diagnostischen Kriterien der ICD orientieren und sollte der aktuellen S3-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. in der jeweils gültigen Fassung gerecht werden (AWMF 2016).
Eine Feststellung von gutachterlich bestätigtem Autismus umfasst i. d. R. mindestens folgende Bereiche:

  • Symptomerfassung im Quer- und Längsschnitt basierend auf den Kriterien der WHO
  • Anamneseerhebung mit detaillierter Erfassung von ICD-Symptomen im Vor- und Schulalter (Eigen- und Fremdanamnese) sowie aktueller Symptome; allgemeine Entwicklungsanamnese, medizinische und psychiatrische Anamnese, Dokumentation möglicher Risikofaktoren 
  • direkte Verhaltensbeobachtung
  • standardisierte Entwicklungsdiagnostik bzw. mehrdimensionale kognitive Testung, soweit durchführbar
  • bei Verdacht auf Sprachentwicklungsstörung: standardisierte Erfassung der Sprachentwicklung
  • Erfassung des aktuellen Funktionsniveaus hinsichtlich persönlicher, familiärer, schulischer und beruflicher Aspekte
  • internistisch-neurologische Untersuchung zum Ausschluss körperlicher Ursachen
  • klinisch indizierte Labor- und apparative Untersuchungen
  • Abklärung vorhandener internistisch-neurologischer sowie psychiatrischer komorbider Erkrankungen
  • Aufklärung über das Ergebnis der Diagnostik 
  • Formulierung einer gezielten Therapieempfehlung bezüglich der Autismus-Spektrum-Störung sowie komorbider Erkrankungen

Zudem sollte eine Diagnosestellung nach aktueller S3-Leitlinie möglichst teambasiert unter Einbeziehung eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie oder eines hierfür speziell qualifizierten Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin erfolgen.
Im Sinne der Berufserlaubnis sind alle approbierten Fachärztinnen und Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie und approbierte Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Fachärztinnen und Fachärzte für Pädiatrie mit Zusatzbezeichnung Neuropädiatrie berechtigt, Diagnosen nach der aktuell gültigen Klassifikation bei Kindern und Jugendlichen zu stellen. Das gilt auch für alle Diagnosen im autistischen Spektrum (derzeit Kapitel F84 nach ICD-10, perspektivisch Kapitel 6A02 nach ICD-11).
Allgemein verfügen v. a. Praxen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie mit Sozialpsychiatrievereinbarung, Schwerpunktpraxen für Neuropädiatrie, Sozialpädiatrische Zentren und Kliniken oder Abteilungen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie über die notwendige fachliche und eingebundene ärztliche Expertise, um Autismus-Spektrum-Störungen zu diagnostizieren.
Der diagnostische Prozess kann einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen.  

Beratung

Diagnostik

Förderung

zurück zum Seitenanfang