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Förderpädagogisches Gutachten

Der gesamte diagnostische Prozess mündet in das förderpädagogische Gutachten. Es dokumentiert in schriftlicher Form die Planung, Durchführung, Ergebnisse und Ableitungen diagnostischer Prozesse und enthält Empfehlungen zur weiteren (sonder-)pädagogischen Förderung. Auf Basis des förderpädagogischen Gutachtens können Empfehlungen zum Förderschwerpunkt, zum Förderort und zu Bildungsgängen begründet werden (vgl. Heimlich et al. 2013, S. 120). Das förderpädagogische Gutachten dient also der Dokumentation des Prozesses, der Entscheidungsfindung im Förderausschuss sowie der Begründung der formalen und justiziablen Entscheidung des Auftraggebers (LaSuB). Es handelt sich hier um ein sehr spezifisches, strukturiertes und systematisches Dokument, welches administrativen Vorgaben sowie bestimmten Gestaltungs- und Qualitätskriterien unterliegt.

Förderpädagogische Gutachten beziehen sich auf die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs zu einem bestimmten Zeitpunkt und dienen als Basis für die sonderpädagogische Förderung in der inklusiven Unterrichtung und an Förderschulen. Diese Gutachten haben somit hohe Bedeutung für den weiteren Bildungs- und Lebensweg der Kinder und Jugendlichen und ihrer Familien.

Das Förderpädagogische Gutachten soll 

  • Lern- und Entwicklungsverläufe und Umfeldfaktoren nachvollziehbar machen,
  • systematische diagnostische Prozesse dokumentieren,
  • entscheidungs- und handlungsrelevante Aussagen ableiten,
  • für das LaSuB Aussagen zum Bestehen sonderpädagogischen Förderbedarfs, zu Förderschwerpunkten, notwendigen Bedingungen und empfohlenen Schulformen und Förderorten begründen, 
  • die Entscheidungsfindung im Förderausschuss vorbereiten, 
  • Vorschläge für Förder- und Unterstützungsmaßnahmen formulieren,
  • Förderplanung, lernprozessbegleitende Diagnostik, Evaluation von Fördermaßnahmen und Folgeüberprüfungen zum sonderpädagogischen Förderbedarf als Zirkelprozess einleiten.

Ein förderpädagogisches Gutachten stellt eine auf den Ergebnissen fundierter Verfahren basierende Beurteilung von Lern- und Lebenssituationen dar, aus der sich nachvollziehbare Entscheidungsvorschläge für das zukünftige Lernen, die schulische und persönliche Entwicklung sowie notwendiger Rahmenbedingungen ergeben. Diagnostiklehrkräfte haben hier die Position unabhängiger sonderpädagogischer Expertinnen und Experten, die wesentliche systematisch gewonnene Erkenntnisse in professioneller und fachlich qualifizierter Form darstellen, analysieren und aus ihnen fachlogisch schlüssige Empfehlungen ableiten (Vernooij 2013, S. 41 f.).

Als übergreifende Qualitätsmerkmale förderpädagogischer Gutachten gelten (vgl. v. Knebel 2010, S. 233 ff. und Watkins & D’Alessio 2009): 

Förderkonzeptorientierung Das förderpädagogische Gutachten verfolgt das Ziel, ein individuelles Förderkonzept zu erstellen, in dem Bedingungen, differenzierte Inhalte und Methoden dargestellt werden.
Umfeldorientierung Sonderpädagogischer Förderbedarf wird im Gutachten als systemische, umfeldabhängige Kategorie verstanden. Deshalb befasst sich das Gutachten vor allem mit dem Unterricht, der Lerngruppe, der Klassensituation, der Schulkultur und den Lehrpersonen sowie der Lebenssituation des Kindes oder Jugendlichen in der Familie mit sozioökonomischen Ressourcen und Benachteiligungen. 
Ressourcenorientierung Das förderpädagogische Gutachten verfolgt das Ziel, Ressourcen im Kind und Jugendlichen sowie im schulischen, familiären und sozialen Umfeld des Kindes und Jugendlichen zu finden und zu aktivieren, um Veränderungen zu ermöglichen.
Lernfortschrittsorientierung Die intraindividuelle Dynamik kindlicher Entwicklung, die Lernfortschritte und individuellen Leistungen stehen im Zentrum diagnostischer Fragestellungen und abgeleiteter Empfehlungen.
Partizipation und Beteiligung     Die Schülerinnen und Schüler werden aktiv am diagnostischen Prozess beteiligt und ihre systematisch erkundete Sichtweise ist expliziter Teil des Gutachtens.
Einbezug der Eltern Eltern können aktiv am diagnostischen Prozess teilhaben und ihre Interpretationen fließen direkt in Entscheidungsvorschläge und Vorbereitung der Maßnahmen ein.
Feedbackorientierung Das Gutachten dient allen Beteiligten vor allem zur Reflexion bisheriger Lernprozesse und zum Feedback für die gemeinsame Planung nächster Lern- und Entwicklungsschritte.
Inklusive Orientierung

Das Gutachten hat das Ziel, inklusive Lern- und Unterrichtspraxis zu untersuchen und notwendige Unterstützung für inklusives Lernen im Unterricht der allgemeinen Schule zu beschreiben. 

Als Qualitätskriterien für das förderpädagogische Gutachten selbst gelten zudem:

Einheitliche Struktur und Systematik Das förderpädagogische Gutachten folgt einem verbindlichen Aufbau und ist systematisch, sachlogisch und stringent strukturiert.
Transparenz und Nachvollziehbarkeit Der diagnostische Prozess und dessen Ergebnisse sind transparent dargestellt und das Zustandekommen der Annahmen und Entscheidungsvorschläge ist nachvollziehbar. Bei Bedarf werden Beteiligte beim Verständnis einzelner Aussagen und Kapitel unterstützt.
Vollständigkeit Alle Prozessschritte und alle diagnostischen Verfahren mit Durchführungsdatum und Ergebnissen sind vollständig abgebildet.
Individualisiertes und hypothesengeleitetes Vorgehen Es werden fallspezifische passende Fragestellungen formuliert und die abgeleiteten handlungsleitenden Hypothesen sind nachvollziehbar. 
Relevanz der untersuchten Bereiche Die ausgewählten und untersuchten Entwicklungsbereiche sind individuell bedeutsam und bilden die Kernbereiche der Beeinträchtigungen und des vermuteten Förderbedarfs ab.
Methodenvielfalt der Datenerhebungen Das Gutachten macht deutlich, dass mit passenden informellen und formellen Verfahren Daten gewonnen wurden, die geeignet sind, die individualdiagnostischen Fragestellungen zu beantworten. 
Klare und eindeutige Formulierungen Die Formulierungen verzichten auf Spekulationen, Generalisierungen oder Behauptungen von Kausalitäten. Es wird deskriptiv und erklärend formuliert und der Bezug zu tatsächlich erhobenen Daten ist nachvollziehbar. Vorschläge sind eindeutig mit Rahmenbedingungen benannt.
Präzise Annahmen, Beurteilungen und Empfehlungen Die theoretische und ergebnisbezogene Fundierung von Aussagen und Vorschlägen ist nachvollziehbar. 
Angemessener Sprachstil Das Gutachten ist grammatikalisch und orthografisch richtig in passenden Zeitformen verfasst. Der Konjunktiv wird für ungeprüfte Aussagen oder Einschätzungen Dritter verwendet. 

Die Gliederung des förderpädagogischen Gutachtens folgt den Phasen des zu dokumentierenden diagnostischen Prozesses. Das Gutachten hat einen strukturierten Aufbau, der die Vergleichbarkeit und Verständlichkeit erhöhen soll. Im Fachverfahren DigiDuF steht dem MSD eine digitale Maske zur Erstellung eines förderpädagogischen Gutachtens zur Verfügung, dessen Verwendung empfohlen wird. Damit ist sichergestellt, dass das förderpädagogische Gutachten fachlich korrekt und rechtssicher erstellt wird. Alternativ stehen im Fachverfahren DigiDuF Gutachtenvorlagen für die analoge Bearbeitung zur Verfügung.

Gliederung 
 
Persönliche Daten 
  • Name, Vorname
  • Geburtsdatum und Alter (monatsgenau)
  • Eltern
  • Anschrift
  • meldende Einrichtung (Stammschule)
1. Untersuchungsanlass
  • Anlass und Verweis auf die erfolgte Beratung gemäß § 13 SOFS oder § 15 SOFS
  • Antragsteller und Auftraggeber
  • Zeitpunkt der Antragstellung und Beauftragung
  • beauftragter MSD
  • übergeordnete Fragestellungen des Auftraggebers
    • In welchem/n Förderschwerpunkt/en besteht sonderpädagogischer Förderbedarf?
    • Welcher (weitere) Bildungsgang wird empfohlen?
    • Welcher Ort der Unterrichtung wird empfohlen?
    • Welche Vorschläge zu Maßnahmen und Bedingungen der Förderung können gemacht werden?
2. Anamnese / bisherige Entwicklung
Inhaltlich:
  • Wie sehen die Eltern ihr Kind und die gegenwärtige schulische Situation?
  • Wie ist die Sichtweise des Kindes/des Jugendlichen auf schulisches Lernen und soziale Kontexte (Schule, Elternhaus)?
  • Erfassen und Auswerten bisheriger medizinischer, therapeutischer, psychologischer und weiterer Berichte bzw. Befunde hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Entwicklung, das Lernen bzw. die soziale Interaktion 

Aus den gewonnenen Erkenntnissen der Anamnese werden Fragestellungen und Hypothesen abgeleitet, die mit diagnostischen Verfahren überprüft werden.

Formal:
  • Formulierungen in Stichpunkten oder Sätzen
  • Formulierung im Präsens, wenn die Aussagen eindeutig zuzuordnen sind, sonst Konjunktiv 
  • Aufzeigen von pädagogisch relevanten Kernaussagen vorhandener Berichte/Gutachten/Befunde 
3. Individualdiagnostische Fragestellungen und Vorgehen
Inhaltlich:
  • Aufstellen zentraler Fragestellungen und dazugehöriger Hypothesen, um die übergeordneten Fragestellungen des Auftraggebers beantworten zu können 

Hinweis: keine Wiederholung der unter Pkt. 1 benannten (übergeordneten) Fragestellungen

  • mindestens 2 Fragestellungen mit dazugehörigen Hypothesen
  • Orientierung an den zu überprüfenden diagnostischen Indikatoren  des jeweiligen Förderschwerpunkts
  • dienen zur Strukturierung und Planung des weiteren diagnostischen Vorgehens (Methodenauswahl)
Formal:
  • Formulierung von zentralen Fragestellungen und dazugehörigen Hypothesen
  • Aussagen zum Zeitraum und der Organisationsform
  • Auflistung der zur Beantwortung der Fragestellung ausgewählten Methoden 
  • Zeitpunkt(e) der Durchführung 
4. Darstellung der Untersuchungsergebnisse
Inhaltlich:
  • beschreibende Zusammenfassung der Ergebnisse
  • keine Interpretation
Formal:
  • Darstellung geordnet nach Methoden, dadurch:
    • Fokus auf die Ergebnisse
    • Übersichtlichkeit in der Darstellung
    • Vermeidung der Interpretation von Teilergebnissen
  • Erkenntnisse zu einzelnen Lern- und/oder Entwicklungsbereichen können unter der jeweiligen Methode durch Teilüberschriften verdeutlicht werden
  • Vorgabe von digitalen Testbeschreibungen und Testtabellen, individuelles Erstellen von Eingabemasken und Texten möglich
  • Formulierung in Vergangenheitsform
5. Zusammenfassung und Beantwortung der individualdiagnostischen Fragestellungen/Hypothesen
Inhaltlich:
  • Zusammenfassende Interpretation der verwendeten Verfahren zu einem Gesamtbild 
  • Beantwortung der individualdiagnostischen Fragestellungen/Hypothesen (Bestätigung kann auch in allgemeiner Form erfolgen)

Hinweis: keine Empfehlung zum Förderschwerpunkt  

Formal:
  • Fragestellung/Hypothesen und/oder Entwicklungsbereiche können zur Gliederung genutzt werden
  • Formulierung im Präsens
  • bei Erweiterung: Begründung der Hinzuziehung eines weiteren MSD, abgeleitet aus den Ergebnissen   
  • ermöglicht Ableitung der Gelingensbedingungen 
6. Abschließende Aussagen des MSD
Beantwortung der übergeordneten Fragestellungen des Auftraggebers:
  • In welchem/n Förderschwerpunkt/en besteht sonderpädagogischer Förderbedarf?
  • Welcher weitere Bildungsgang wird empfohlen?
  • Welcher Ort der Unterrichtung wird empfohlen?
7. Gelingensbedingungen für die sonderpädagogische Förderung
Vorschläge zu Bedingungen und Maßnahmen der Förderung 
  • Gelingensbedingungen sind Vorschläge und haben empfehlenden Charakter
  • Ableitbarkeit der Vorschläge aus Gutachten muss erkennbar sein
  • Benennen der Schwerpunkte der Förderung mit individuellen Fördervorschlägen und förderlichen Rahmenbedingungen 
  • Formulierungen so genau wie möglich, ggf. Nennung von möglichen Fördermaterialien/-programmen
  • Aufzeigen von unterstützenden Maßnahmen, die durch Eltern umgesetzt werden sollten
  • Aussagen zur Überprüfung des sonderpädagogischen Förderbedarfs
  • Hinweise des MSD (Übergänge, prozessbegleitende Diagnostik, Vorgehen bei Ausbleiben des Fördererfolgs)

Die Qualität diagnostischer Prozesse in sonderpädagogischen Feststellungsverfahren und die Qualität der Erstellung förderpädagogischer Gutachten können durch die Arbeit in Diagnostikteams im MSD gesichert werden. Dazu bedarf es Konzepte für die Team- und Kompetenzentwicklung an den jeweiligen Förderschulen, die mit den Schulleitungen besprochen und regelmäßig evaluiert werden. Die Diagnostikteams im MSD beraten sich regelmäßig kollegial (vgl. Zeiler 2012).
Der MSD entwickelt seine konzeptuellen, methodischen, kooperativen und beratenden Kompetenzen kontinuierlich weiter und weist dies durch spezifische Weiter- und Fortbildungen, Supervision und andere Teamentwicklungsmöglichkeiten nach. Die Verantwortung für die Teamentwicklung liegt bei der Leitung des MSD in enger Zusammenarbeit mit der Schulleitung der Förderschule.
 

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