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Organisationsformen sonderpädagogischer Diagnostik

Mit der Beauftragung des MSD bildet dieser einen Förderausschuss (§ 13 Absatz 6 SOFS) und es beginnt der eigentliche diagnostische Planungsprozess. Hier müssen Zeitraum, Organisationsform, Kooperation mit anderen Fachkräften und die Beteiligung der Eltern sowie Schülerinnen und Schüler geplant werden. Begrenzt werden die Planungen u. U. durch die zur Verfügung stehenden zeitlichen Ressourcen im MSD, Terminabläufe im Schuljahr und bei Kooperationspartnern, Terminfindung für Hospitationen, zur Verfügung stehende diagnostische Verfahren sowie durch die diagnostischen Kompetenzen der Diagnostiklehrkräfte.
In Abhängigkeit von den sächlichen und personellen Bedingungen an der diagnostizierenden Förderschule und in Absprache mit den Eltern und der Stammschule sind nachfolgend angeführte Organisationsformen möglich:

  1. Durchführung des diagnostischen Prozesses im regulären Unterricht der Stammschule bzw. in der Kindertageseinrichtung, 
  2. Diagnostik an der Beratungsstelle oder in Kleingruppen an der Förderschule,
  3. probeweise Unterrichtung an der mit der Diagnostik beauftragten Förderschule (mit Zustimmung der Eltern),
  4. probeweise Unterrichtung an einer Regelschule (mit Zustimmung der Eltern) oder
  5. Diagnostik an einem anderen Ort, wenn der psychische Zustand bzw. die physischen Besonderheiten es erforderlich machen.

Der 1.) diagnostische Prozess im regulären Unterricht bzw. in der Kindertageseinrichtung findet im bekannten und vertrauten Umfeld des Kindes oder Jugendlichen statt. Somit können Beobachtungen, diagnostische Gespräche oder Arbeitsergebnisse direkt in die diagnostische Informationsgewinnung einbezogen und auf deren pädagogische Relevanz geprüft werden. Schülerspezifische Störvariablen für Test- und Screeningverfahren (bspw. Unsicherheit, Ängstlichkeit) sind nicht generell erhöht. Der stärkste Störeinfluss entsteht durch die bisher unbekannte Person der Diagnostiklehrkraft selbst sowie das Wissen des Kindes oder Jugendlichen über die Ziele und das Vorgehen im diagnostischen Prozess, welches u. a. Abwehr oder sozial erwünschtes Verhalten auslösen kann.

Die 2.) Diagnostik an der Beratungsstelle oder in Kleingruppen an der Förderschule findet zeitlich komprimiert in unbekannter Umgebung statt. Diese Form bietet sich an, wenn Diagnostikaufträge für mehrere Kinder einer Altersgruppe in vergleichbaren Problemlagen vorliegen. Zeitpunkt und Dauer des Verfahrens zur Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf sowie die verantwortlichen Diagnostiklehrkräfte werden von der Schulleitung der Förderschule festgelegt. Die Störvariablen im diagnostischen Prozess sind durch die fremde Situation allerdings erhöht. Die wesentliche Methode der systematischen Verhaltensbeobachtung ist nicht als Feldbeobachtung einsetzbar und auf episodenhafte Beobachtungen während der Test- oder Aufgabendurchführung beschränkt. Somit reduziert sich die Methodenvielfalt.

In dringenden Fällen oder bei Vorliegen einer einzelnen Meldung in einer bestimmten Altersstufe bietet es sich an, Schülerinnen und Schüler in den Unterrichtsprozess der für die Förderung vorgesehenen Schule im Rahmen einer 3.) und 4.) probeweisen Unterrichtung einzugliedern und darüber hinaus in Einzelsituationen zu überprüfen. Dazu ist die Einwilligung der Eltern erforderlich. Die mit der Ermittlung des sonderpädagogischen Förderbedarfs beauftragte Diagnostiklehrkraft bezieht alle in der Klasse unterrichtenden Lehrkräfte in den diagnostischen Prozess ein. Im Rahmen einer probeweisen Unterrichtung von maximal zwölf Wochen besteht hinreichend Zeit für diagnostische Prozesse und ein Eingewöhnen in die Probeschule und -klasse. Dieses für die Schülerin oder den Schüler noch unbekannte Setting kann aber durchaus Einfluss auf Ergebnisse und Beurteilungen nehmen, insbesondere wenn noch Prozesse der sozialen Integration und Rollenfindung laufen. Kritisch anzumerken ist, dass die offene Frage nach Empfehlungen für Bildungsgang und Förderort bereits probeweise vorweggenommen wird. Hier bestehen Risiken der Bestätigung von Vorannahmen (self-fulfilling prophecy) und schulorganisatorische Barrieren (bspw. Schülerbeförderung). 

Unabhängig von der gewählten Organisationsform sind Hospitationen im regulären Unterricht bzw. in der Kindertageseinrichtung sowie die Begutachtung des Kindes oder Jugendlichen bei der Erfüllung individueller Aufgaben in seiner gewohnten Umgebung Bestandteil jeder Förderdiagnostik (§ 13 Absatz 5 Satz 2 SOFS). 

Ebenfalls in Planungsprozessen zu bedenken sind Aspekte der Partizipation von Eltern und Schülerinnen bzw. Schülern sowie die Organisation der Zusammenarbeit mit der bisher besuchten Schule bzw. Kindertageseinrichtung und ggf. dem Kinder- und Jugendärztlichen Dienst (Formblatt V3). Zudem können weitere externe Personen oder Einrichtungen einbezogen werden, die im Zusammenhang mit dem Verfahren stehen und zur Entscheidungsfindung bezogen auf den vermuteten Förderschwerpunkt sowie die Schullaufbahnplanung mündlich und schriftlich Auskunft geben können (bspw. Gutachten und Berichte von Psychologinnen und Psychologen, Therapeutinnen und Therapeuten, Fachärztinnen und Fachärzten oder dem Allgemeinem Sozialen Dienst des Jugendamtes).

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