Sonderpädagogische Beratung im Förderschwerpunkt Sprache
Schnittstelle pädagogischer und sonderpädagogischer Förderbedarf: Indikatoren für einen sonderpädagogischen Förderbedarf im Förderschwerpunkt Sprache
Ziel der Beratung ist die Einschätzung des aktuellen Sprachentwicklungsstandes und die Ableitung sonderpädagogisch begründeter Empfehlungen für eine
- weitere Förderung in Verantwortung der Kindertageseinrichtung bzw. Stammschule,
- weitere Förderung in Verantwortung der Eltern (bspw. Logopädie) oder
- Einleitung des Verfahrens zur Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf.
Beobachtungen im Rahmen der Beratung sollten im vertrauten Umfeld des Kindes stattfinden. Das Hauptaugenmerk ist zunächst auf Auffälligkeiten in den verschiedenen Sprachebenen
- Phonetik und Phonologie,
- Syntax und Morphologie,
- Semantik und Lexik und/oder
- Kommunikation und Pragmatik
sowie auf das Sprachverhalten des Kindes und dessen Interaktion zu richten.
Sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt Sprache ist zu vermuten, sofern sich erhebliche Beeinträchtigungen auf mehreren bzw. schwere Beeinträchtigungen auf einer Sprachebene(n) (rezeptiv und/oder produktiv) zeigen. Darüber hinaus können Auffälligkeiten im Redefluss, in den sprachbasalen Fähigkeiten (phonologisches Arbeitsgedächtnis, auditive Wahrnehmung) oder anatomisch-morphologische Besonderheiten (LKGS-Fehlbildungen) Anzeichen für die Vermutung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs sein.
Sprachauffälligkeiten mehrsprachiger Kinder bzw. Jugendlicher aufgrund des aktuellen Sprachstandes in der deutschen Sprache begründen nicht die Vermutung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs. Sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt Sprache ist bei diesen Schülerinnen und Schülern erst dann zu vermuten, wenn sich Beeinträchtigungen im Spracherwerb der Erstsprache zeigen und die Sprachentwicklung im Zweitspracherwerb trotz gezielter Förderung stagniert. Weiterführende Hinweise für die Beratung und Diagnostik bei mehrsprachigen Kindern sind unter "Deutsch als Zweitsprache (DaZ)" zu finden.
Beeinträchtigungen der Sprachebenen zeigen sich darüber hinaus in Wechselwirkung mit umfänglichen Auffälligkeiten in anderen Entwicklungsbereichen:
- Denken und Gedächtnis,
- Wahrnehmung,
- Sozialverhalten und Emotion und/oder
- Körper und Motorik.
Die beschriebenen Aspekte sind konsequent in die Erarbeitung folgender praxisorientierter Unterstützungsmaterialien für den Beratungsprozess im Förderschwerpunkt Sprache eingeflossen:
- Entscheidungshilfe (Förderschwerpunkt Sprache) (*.pdf, 0,77 MB)
- Indikatoren (Förderschwerpunkt Sprache) (*.pdf, 0,80 MB)
Hinweise für die Beratung
Im Sinne eines systemischen Ansatzes ist die Einbeziehung von schulischen und außerschulischen Informationen und Erkenntnissen bereits im Beratungsprozess geboten. Die Informationen dafür können
- aus Beobachtungen (gezielter Einsatz der Spontansprachanalyse),
- aus Gesprächen mit Lehrkräften, pädagogischen Fachkräften und Eltern, ggf. mit der Schülerin bzw. dem Schüler selbst und/oder
- Analyse der Dokumentation der bisherigen Förderung sowie ggf. bereits vorliegenden Befunden, Berichten bzw. Gutachten gewonnen werden.
Für die Störungsbilder Selektiver Mutismus, Stottern und VED ist das Vorliegen einer medizinischen (bei Selektivem Mutismus ersatzweise psychologischen) Diagnose unerlässlich. Liegen Anzeichen für eine Sprachentwicklungsstörung vor, so ist der Ausschluss einer (temporären) Hörstörung durch eine maximal sechs Monate alte ärztliche Bescheinigung zu belegen. Liegt der Befund zum Zeitpunkt der Beratung noch nicht vor, werden die Eltern auf die notwendige Nachreichung hingewiesen.
Die Auswahl von Instrumenten zum Sprachscreening in der Beratung orientiert sich an den Indikatoren für den Förderschwerpunkt Sprache. Praxiserprobte Materialempfehlungen für die Beratung sind unter dem Menüpunkt Unterstützungsmaterial hinterlegt. Auf den Einsatz von standardisierten Testverfahren oder die Verwendung von ausgewählten Untertests sollte im Rahmen der Beratung in der Regel verzichtet werden. Ausnahmen bilden Fragestellungen hinsichtlich der Abgrenzung zu anderen Förderschwerpunkten, insbesondere zum Förderschwerpunkt Lernen und wenn keine externen Befunde anderer Stellen vorliegen.
Sollten sich umfängliche Auffälligkeiten in anderen Entwicklungsbereichen zeigen, wird Folgendes empfohlen:
- Bereich Kognition: Durchführung einer Intelligenzdiagnostik, bspw. CFT 1-R. Diese kann durch eine qualifizierte Beratungslehrkraft an der Stammschule, die Schulpsychologie oder den zuständigen MSD (Förderschwerpunkt Sprache) erfolgen.
- Bereich Hören: Ausschluss einer peripheren Hörbeeinträchtigung und dadurch resultierende Sprachauffälligkeiten durch den MSD im Förderschwerpunkt Hören (Vorliegen einer Diagnose gilt als Ausschlusskriterium bzgl. einer Überprüfung im Förderschwerpunkt Sprache).
In diesen Fällen ist der zuständige MSD für den vermuteten Förderschwerpunkt in die Beratung einzubeziehen.
Um den Förderbedarf in den einzelnen Sprachebenen differenziert aufzuzeigen, kann das nachfolgende Dokument als Anlage an die Ergebnisse der Beratung des MSD (Formblatt B2) beigefügt werden.
Für eine bessere Planung und zielgerichtete Durchführung des Beratungsprozesses kann der MSD bereits im Vorfeld an pädagogische Fachkräfte (Kindertageseinrichtung) oder Lehrkräfte (Stammschule) einen Vorabfragbogen versenden. Der Bogen umfasst Fragen zum Lern- und Entwicklungsstand bzw. zur aktuellen Situation der Schulanfängerin oder des Schulanfängers bzw. der Schülerin oder des Schülers.
- Vorabfragebogen Schulanfängerin/Schulanfänger (*.docx, 0,88 MB)
- Vorabfragebogen Schülerin/Schüler (*.docx, 0,89 MB)
Bei Kindern mit erheblichen sprachlichen Auffälligkeiten/einer Sprachentwicklungsstörung in der Schuleingangsphase ist frühzeitig eine Beratung durch den MSD zu initiieren, um Anregung für eine gezielte Sprachförderung zu geben.
Die Empfehlungen der Schulaufnahmeuntersuchung können ggf. bereits Hinweise liefern, ob sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt Sprache zu vermuten ist. Liegen zum Zeitpunkt der Beratung noch keine Befunde vor, können
- Ergebnisse der U9 und
- die Dokumentationen einer Frühförderung
wichtige Informationen für die meldende Schule und den MSD liefern.
Eine Verkürzung der Beratung (Empfehlung auf Aktenlage in Verantwortung des MSD) unter Einbeziehung der Eltern und/oder der meldenden Schule ist im Einzelfall zu befürworten, wenn
- eine stationäre Behandlung von Sprach- und Kommunikationsstörungen bei Kindern und Jugendlichen nicht länger als ein halbes Jahr zurückliegt und/oder
- eine medizinische oder psychologische Diagnose vorliegt:
- selektiver Mutismus,
- verbale Entwicklungsdyspraxie,
- Stottern.
Betrachtet man den Schriftspracherwerb als Teil der allgemeinen Sprachentwicklung eines Kindes, sollte im Anfangsunterricht der Grundschule ein besonderes Augenmerk auf Schülerinnen und Schüler gerichtet werden, die im Vorschulalter bereits Auffälligkeiten beim Erwerb der Lautsprache zeigten. Die für den regelgerechten Sprachgebrauch notwendigen Wahrnehmungs- und Differenzierungsprozesse werden auch als Vorläuferfähigkeiten für den Schriftspracherwerb benötigt. Hierbei wird neben den Fähigkeiten zur auditiven Verarbeitung und Merkfähigkeit vor allem der Ausprägungsgrad der phonologischen Bewusstheit für den Lernerfolg wichtig. Dieser befähigt Kinder, verschiedene Laute zu unterscheiden und deren Lautfolge innerhalb eines Wortes zu analysieren. Beim Lesen und Schreiben werden die Laute dann mit Buchstaben in Verbindung gebracht und die Schriftsprache entwickelt sich.
Analog zur logopädischen Therapie beim Erlernen der Lautsprache benötigen die betroffenen Schülerinnen und Schüler in der Schuleingangsphase einen geeigneten Lehrgang für den individuellen Schriftspracherwerb, da sie meist nicht ohne Unterstützung in der Lage sind, Laute zu differenzieren und die entsprechenden Buchstaben zuzuordnen.
Sollten bei einem Kind Lernerfolge im Schriftspracherwerb ausbleiben, so ist schnellstmöglich zu überprüfen, ob der verwendete Lese- und Schreiblehrgang unter Umständen für dieses Kind zusätzliche Lernbarrieren schafft. Im Falle einer vermuteten Lese-Rechtschreib-Schwäche wird auf die entsprechenden Regelungen verwiesen .
Das abschließende Gespräch zu den Ergebnissen der Beratung (Formblatt B2) sollte im Einzelfall unter Beteiligung des MSD stattfinden. Die Empfehlungen des MSD können gegenüber den Eltern und der meldenden Schule begründet und Erklärungszusammenhänge, beispielsweise Zusammenhänge zwischen den Unterrichtsbeobachtungen und möglichen Anhaltspunkten für individuelle Unterstützungsbedarfe und Hinweise zur weiteren Förderung, fachlich korrekt übermittelt werden.