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Schwerstmehrfachbehinderung

Die Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit einer Schwerstmehrfachbehinderung ist hinsichtlich der spezifischen Ausprägungen der Beeinträchtigungen sowie der Umfeldfaktoren in sich äußerst heterogen und in Gänze nicht miteinander vergleichbar (vgl. Biewer & Koenig 2019; Fischer 2000). 
Auch die Erklärungsmodelle (bspw. medizinisches oder soziales Modell), Beschreibungen (Ausprägungsformen) sowie die Begriffe, mit denen diese Gruppe seit den 1970er Jahren umschrieben wird, sind vielfältig (mitunter widersprüchlich) und haben zudem auf der inhaltlichen Ebene keinerlei Vergleichswert, insbesondere, weil sie „die interindividuellen Unterschiede dieser Personengruppe beträchtlich nivellieren“ (Mohr & Schindler 2019, S. 49). 

Mit Bezug auf das Modell der ICF (DIMIDI 2005) „wird Behinderung insbesondere mit Hilfe des bio-psycho-sozialen Modells beschrieben, das sowohl die individuelle Schädigung einer Person als auch die Bedingungen der Umwelt, die die Lebenssituation mit dieser Schädigung erleichtern oder erschweren können, in den Blick nimmt“ (Lamers, Musenberg & Sansour 2021, S. 19). Durch diese Erweiterung der Blickrichtung werden gerade in Bildungskontexten Barrieren identifiziert, Gestaltungsräume ermöglicht und damit Gelingensbedingungen von Teilhabe für Kinder und Jugendliche mit einer Schwerstmehrfachbehinderung optimiert.

Aus einer beschreibenden, diagnostischen Perspektive heraus legen Bernasconi & Böing (2015) die Problematik der subjektiven Perspektive der Betrachtenden dar, deren Blick auf die Person mit einer Schwerstmehrfachbehinderung die Deutungshoheit bestimmt. Folglich erscheint es im Kontext von Diagnostik und einem Bemühen um objektive Merkmale zielführend zu sein, wesentliche Gemeinsamkeiten innerhalb dieser Gruppe von Kindern und Jugendlichen zu benennen. Sie sind aufgrund ihrer 

  • deutlich erhöhten Anfälligkeit für die Verursachung von Krankheiten (Vulnerabilität), 
  • massiv beeinträchtigten Aktivität und
  • stark geminderten kontextuellen Bedingungen 

in ihrer Teilhabe gravierend eingeschränkt (vgl. Schindler 2021, S. 30).

Lamers, Musenberg & Sansour (2021) beschreiben bspw. das Gemeinsame dieses Personenkreises damit, „dass sie von vielen Bereichen gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen sind“ (Lamers, Musenberg & Sansour 2021, S. 19) und Mohr & Schindler (2019) nennen weiter ausdifferenzierend für diese Schülerinnen und Schüler 

  • eine große Anzahl an Beeinträchtigungssituationen im täglichen Leben,
  • eine besondere Intensität der Beeinträchtigungssituationen sowie
  • eine umfängliche Betroffenheit der Partizipationsdomänen (vgl. Mohr & Schindler 2019, S. 62).

In Bezug auf Bildung, Erziehung, Förderung, Therapie und Pflege lassen sich Gemeinsamkeiten nennen, die im Folgenden aufgelistet werden (in Anlehnung an ISB 2010). 

Nur wenige schwerstmehrfachbehinderte Kinder und Jugendliche können sich lautsprachlich mitteilen, mit allen ist jedoch Kommunikation über basale Kanäle (bspw. über Mimik und Gestik, Lautierungen oder durch Veränderungen im Muskeltonus bzw. der Atmung) möglich (vgl. Klauß, Lamers & Janz 2004). Folglich sind sie angewiesen auf Formen der Unterstützten oder Basalen Kommunikation (vgl. Leber 2020; Hansen 2020; Bernasconi 2024). 

Eine Schwerstmehrfachbehinderung ist durch umfängliche bzw. tiefgreifenden Beeinträchtigungen im Bereich der Kognition und in weiteren Entwicklungsbereichen gekennzeichnet.

  • schwergradigen (6A00.2) oder tiefgreifenden (6A00.3) Störung der Intelligenzentwicklung (ICD-11),
  • starken motorischen Beeinträchtigung (häufig in Form schwerer Formen von Cerebralparese mit orthopädischen Komplikationen sowie Kau- und Schluckstörungen),
  • erheblichen Einschränkung der visuellen, auditiven und somatischen Wahrnehmungstätigkeiten und -möglichkeiten sowie
  • herausfordernde Verhaltensweise (internalisierend, externalisierend) (vgl. Mohr & Schindler 2019, S. 49ff.; Mohr & Schindler 2024). 

Infolge der besonderen individuellen Lernausgangslagen sind die Kinder und Jugendliche angewiesen auf

  • das Erkennen und Beseitigen von Teilhabebarrieren und damit
  • die angemessene Gestaltung der Umgebung in Bezug auf Alter, gesundheitliche Bedarfe sowie persönliche Interessen (vgl. Lamers, Musenberg & Sansour 2021, S. 193ff.) 

Im Kontext Aktivität sind diese Kinder und Jugendliche angewiesen auf

  • elementarisierte Förder- und Bildungsangebote, die zeitenweise in Einzelangeboten und mit direkter Ansprache vermittelt werden,
  • individuelle Unterstützung an Fortbewegung und Positionsveränderung (sowohl im Kontext Pflege als auch Teilhabe bspw. hinsichtlich Kommunikation und Interaktion),
  • verlässliche, professionelle Versorgung und Pflege (vgl. Schlichting 2013; Damag 2024). 

Kinder und Jugendliche mit einer Schwerstmehrfachbehinderung benötigen spezifische und individuelle Anregungen und Unterstützung in folgenden Bereichen (mit Bezug auf schulische Kontexte vgl. Schäfer, Loscher & Mohr 2024): 

  • Kommunikation und Interaktion
  • Beziehung
  • Wahrnehmung 
  • Bewegung und Mobilität 
  • Denken und Kognition 
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