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Pädagogische Verantwortung im Arbeitsfeld sonderpädagogischer Beratung, Diagnostik und Förderung

Kinder und Jugendliche, aber auch Eltern werden auf verschiedenen Ebenen mit Beurteilungen und Deutungen von Lehrkräften konfrontiert, sodass sie diese schnell als das „definitionsmächtig[e] Andere“ (Schiermeyer-Reichl 2016, S. 137) wahrnehmen. Dieses Machtverhältnis ist dem pädagogischen und im besonderem Maße dem diagnostischen Handeln innewohnend und birgt gleichzeitig die Gefahr, dass sich Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern einer Art Ohnmachtserfahrung ausgesetzt fühlen können und Diagnostik „als Urteil über die eigene Person wahrgenommen [wird], auf das man selbst keinen Einfluss hat“ (Gerhartz-Reiter & Reisenauer 2018, S. 115). 

Das Verfahren zur Feststellung von sonderpädagogischem Förderbedarf kann in die Zuschreibung eines sonderpädagogischen Förderschwerpunktes münden und somit maßgeblich Bildungsbiografien von Kindern und Jugendlichen beeinflussen (vgl. Gerhartz-Reiter & Reisenauer 2018). Diese Deutungshoheit und Entscheidungsmacht diagnostischen Handelns muss zunächst anerkannt und anschließend offengelegt sowie reflektiert werden. Damit lassen sich Machtverhältnisse nicht gänzlich auflösen, man kann ihnen jedoch entgegenwirken. Grundsätzlich bedarf es 

  1. der Anerkennung von Machtverhältnissen in diagnostischem Handeln und durch diagnostisches Handeln (vgl. Schuppener 2023),
  2. der Transparenz diagnostischen Handelns gegenüber Kindern, Jugendlichen und Eltern,
  3. der Einbindung durch eine aktive Einflussnahme und eine entscheidungswirksame Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Eltern an der Entstehung diagnostischer Urteile (vgl. Schuppener, Schmalfuß & Eichfeld 2022),
  4. einer (Reflexions-)Sensibilität gegenüber einflussnehmenden Rahmenbedingungen auf die Diagnostik, die Bewusstheit der eigenen Grundhaltung sowie die Anerkennung der Begrenztheit von Wissen und diagnostischen Erkenntnissen (vgl. Schuppener 2022).

Diese grundlegenden Ansprüche an diagnostisches Handeln sind eingebettet in ein inklusives Menschenbild, welches durch zentrale Elemente der Wertschätzung, Anerkennung und Achtsamkeit geprägt ist (vgl. Schuppener, Schmalfuß & Eichfeld 2022).

Werschätzung dient als ethischer Kompass, der darauf geeicht sein sollte, Heterogenität zu akzeptieren und dieser positiv und offen gegenüberzustehen. Sie bezieht sich sowohl auf die Vielfalt innerhalb der Gemeinschaft als auch auf das einzelne Kind oder den Jugendlichen sowie dessen Eltern.

Anerkennung ist ein wechselseitiger Prozess: Es geht um die Anerkennung der eigenen Person ebenso wie des Gegenübers. Gleichzeitig birgt dieser Prozess immer auch die Gefahr der Verkennung, die es wahrzunehmen gilt und mit welcher offen umgegangen werden muss. Ein möglicher Weg ist dabei die „Anerkennung von Nicht-Wissen“ (vgl. Georgi & Mecheril 2018, S. 66) als ein Kernmerkmal professionellen pädagogischen Handelns. Denn erst das „ […] Ineinandergreifen von Wissen und Nicht-Wissen ergibt einen geeigneten Ausgangs- und Eckpunkt professionellen Handelns“ (ebd.).

Achtsamkeit, gleichermaßen wie Anerkennung, ist immer wechselseitig zu betrachten. Es geht zum einen um die aufmerksame Bezogenheit auf das Kind oder den Jugendlichen, andererseits um eine Form der Selbstsorge als Lehrkraft. Achtsamkeit orientiert sich an dem sozialen Angewiesensein von Menschen, insbesondere gegenüber denjenigen, die ein hohes Maß an Autonomieeinschränkungen erleben. Es bedarf im pädagogischen Miteinander sensibler diagnostischer Dialoge, um Praktiken der Exklusion aufzudecken.

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