Hinweise für die Förderung
Eine multiprofessionelle Förderung traumatisierter Schülerinnen und Schüler sollte in den vier Phasen der Herstellung von äußerer Sicherheit (1) sowie innerer Sicherheit (2), der Traumaverarbeitung durch eine Therapie bei einem Kinder- und Jugendpsychotherapeuten (3) und der Traumaintegration (4) erfolgen. Die Schule wirkt insbesondere in den Phasen eins und zwei mit und stabilisiert die traumatisierten Schülerinnen und Schüler (Garbe 2015, 169). Eine gelingende traumapädagogische Praxis kann nur durch eine interdisziplinäre Vernetzung und kooperativ unter Einbeziehung der Jugendhilfe sowie ambulanter oder stationärer Psychotherapeuten gelingen.
Nach traumatisierenden Erfahrungen ist die Herstellung einer äußeren Sicherheit für die betroffenen Schülerinnen und Schüler ein zentraler erster Schritt, um posttraumatische Reaktionen abzubauen (vgl. Garbe 2015, S. 191 ff.). Erst danach kann traumapädagogisch und traumapsychotherapeutisch das innere Sicherheitsgefühl der Schülerinnen und Schüler gestärkt werden.
In der Regel obliegt die Gewährleistung der äußeren Sicherheit bei minderjährigen Schülerinnen und Schülern vorrangig dem zuständigen Jugendamt, das als öffentlicher Jugendhilfeträger zur Umsetzung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben nach § 2 SGB VIII sowie nach dem Bundeskinderschutzgesetz verpflichtet ist. Kooperativ wirken auch Familiengerichte, Gutachter oder auch die Polizei in diesen Fällen mit. Darunter ist auch der Schutz vor den Einflüssen traumatisierender Bindungspersonen eingeschlossen, so dass sichere Lebensbedingungen für Schülerinnen und Schülern mit traumatischen Grunderfahrungen in einer räumlichen Trennung von der Täterin bzw. vom Täter realisiert werden können. Dies ist insbesondere wichtig, da jeder Kontakt zur verursachenden Täterin oder zum verursachenden Täter auch nach dem traumatisierenden Ereignis bei den betroffenen Schülerinnen und Schülern durch Trigger das frühere Erleben wieder aktiviert und die neuronal gebahnte Übererregung und regelhaft erhöhte Ausschüttung der Stresshormone anhalten lässt.
Im traumapädagogischen Sinne wird unter „innerer Sicherheit“ das innere Gefühl von Schülerinnen und Schülern mit traumatischen Grunderfahrungen verstanden, „sich in seinem Körper und in seiner Umgebung sicher zu fühlen“… und darauf vertrauen zu können, „keiner Bedrohung ausgesetzt zu sein.“ (Garbe 2015, S. 197). Durch die traumatisierenden Erfahrungen haben die Schülerinnen und Schüler dieses Sicherheitsgefühl verloren, was sich neben den Symptomen einer PTBS auch in Schreckhaftigkeit, Unruhe, Konzentrationsstörungen, Einsamkeitsgefühlen, Schlafstörungen, Ängsten, Depressionen oder körperlichen Beschwerden trotz eines sicheren Umfeldes äußern kann.
Die Herstellung von innerer Sicherheit bezieht sich darauf, dass die Gesamtpersönlichkeit einer Schülerin oder eines Schülers realisiert, dass die traumatische Situation vorbei ist und in der Vergangenheit liegt. Insbesondere bei Schülerinnen und Schülern mit starken Dissoziationsphänomenen ist das Zurückholen in das Hier und Jetzt mithilfe von bspw. direkten Ansprachen, körperlicher Wahrnehmung (bspw. klatschen, abklopfen) oder auch sinnlichen Reizen (bspw. Düfte) notwendig, um die aktuelle Umgebung und Situation wieder bewusst wahrnehmen und ein Gefühl der Sicherheit vermitteln zu können.
Auch direkt nach einer traumatischen Situation können Lehrkräfte die betroffene Schülerin oder den betroffenen Schüler unterstützen. Eine detaillierte und konkrete Handlungsanweisung bei unterschiedlichen Verhaltensweisen einer Schülerin oder eines Schülers stellt die Psychotherapeutenkammer Niedersachsen (2020) zur Verfügung. Diese Informationen sind auch in der Beratung von Eltern hilfreich, die ihr betroffenes Kind unterstützen wollen.
Schule als sicherer Ort
Die schulische Förderung kann diese Prozesse aktiv unterstützen, in dem die Schule einen sicheren Ort für Schülerinnen und Schüler mit traumatischen Grunderfahrungen darstellt. In der Schule als sicherer Ort (vgl. Ding 2014, S. 183 ff.) sind Lehrkräfte einfühlsame Bezugspersonen und ermöglichen Bindung. Eine stabile, präsente und zugewandte Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern gestaltet sich in der Balance zwischen emotionalem Engagement und reflektierender professioneller Distanz (vgl. Ding 2011, S. 64ff.). Dabei ist insbesondere eine traumapädagogische Haltung der Lehrkräfte hochrelevant, welche die Elemente Freude, Wertschätzung und Respekt vor den Schülerinnen und Schülern mit traumatischen Grunderfahrungen beinhaltet. Ihr störendes Verhalten wird als individuelle Überlebensstrategie vor dem Hintergrund ihrer Lebensgeschichte verstanden. In diesem Framing werden störende oder aggressive Verhaltensweisen verstanden, ohne mit diesen einverstanden zu sein. Lehrkräfte sind mit ihrer eigenen Stabilität und Sicherheit Teil des sicheren Ortes „Schule“. Eine weitere Grundlage der traumapädagogischen Arbeit stellt die Methode der Selbstbemächtigung dar (vgl. Weiß 2011, S. 164). Schülerinnen und Schüler mit traumatischen Grunderfahrungen sollen mit Unterstützung pädagogischer Mitarbeiter „Stück für Stück das Gefühl für sich selbst wiederfinden, sich […] (und) ihre Gefühle und Empfindungen wahrnehmen lernen“ (ebd.).
Bestandteile eines sicheren Ortes definiert Ding (2014, S. 184ff.), sie sind im folgenden Dokument überblicksartig zusammengefasst:
Über die grundlegende Stabilisierung von Schülerinnen und Schülern mit traumatischen Grunderfahrungen durch die Gestaltung der Schule als sicheren Ort hinaus, können weitere psychoedukative und stabilisierende Methoden genutzt werden (vgl. UNHCR 2016; Hoffart, Möhrlein & Schirmer 2020). Zur Unterstützung der Affektregulation bieten sich unter anderem folgende Methoden an:
- Lernpausen oder Phasen mit kurzen Bewegungselementen, wie Body2Brain – Übungen einbauen (vgl. Croos-Müller 2012; Unfallkasse NRW 2020)
- Nutzung einer Spannungsskala oder anderer Formen der Selbstreflexion (bspw. nach einer Hofpause) (vgl. UNHCR 2016, 45-47)
- in Triggersituationen, die zu starken Spannungszuständen bei Schülerinnen und Schülern mit traumatischen Grunderfahrungen führen, unterstützen eingeübte Skills-Techniken eine Affektreduzierung (vgl. Garbe 2015, S. 221 ff.; UNHCR 2016, S. 49)
- psychoedukative Erklärungen der körperlichen Reaktion auf einen Trigger können Schülerinnen und Schülern mit traumatischen Grunderfahrungen am Beispiel des “dreigliedrigen Gehirns“ erläutert werden (vgl. Ding 2014, 171ff., UNHCR 2016, 17 ff.).
Weitere Hinweise zu einer traumapädagogischen Arbeitsweise in der Schule stellt auch der Fachverband Traumapädagogik e. V. zur Verfügung (Hoffart, Möhrlein & Schirmer 2020).
Die nachfolgende Tabelle gibt zudem einen Überblick über Empfehlungen hinsichtlich Methoden, Übungen und Fördermaterialien.